"fallende Tulpen"
Gelatinesilberabzug auf Baryt
„Leben ist Zeit. Die Wirklichkeit begreife ich durch Phantasie. Meine Bilder bewahren die Dinge vor dem Verschwinden, wenn es mir gelingt, ihnen eine Gestalt zu geben.“
Manfred Paul1
Die Fotografie von Manfred Paul beschäftigt sich mit der existenziellen Frage des menschlichen Seins. Es sind Bilder, die zu Gleichnissen werden, um das Vergehen aller Dinge als Bedingung des Lebens zu begreifen.2 Die herabhängenden, verwelkten Blüten zeigen in eindringlicher Klarheit den Übergang vom Leben in den Verfall. Paul verweist damit auf das barocke Vanitas-Motiv, bei dem das Vergehen der Zeit und die Vergänglichkeit allen Lebens zentral sind. Pauls Tulpen erscheinen nicht als dekoratives Arrangement, sondern als Symbol für die Stille des Zerfalls – ein Thema, das sich durch sein gesamtes fotografisches Werk zieht. Seine Arbeiten sind geprägt von einer tiefen Auseinandersetzung mit Zeit, Erinnerung und Vergänglichkeit. Pauls Fotografien sind keine reinen Dokumentationen der Wirklichkeit, sondern Ausdruck eines inneren Blicks, sie verwandeln den festgehaltenen Moment in eine Fläche stiller, nachdenklicher Betrachtung. Seine Stillleben, wie dieses, lassen sich als fotografische Meditationen über das Ende verstehen, in denen die Flüchtigkeit des Lebens eine visuelle Form erhält. Vergleiche dazu etwa André Kertész und seine Melancholic Tulip aus dem Jahr 1939.
Formal bewegt sich Paul in der Tradition der neuen Sachlichkeit und der ostdeutschen Fotografie der 1980er und 1990er Jahre, die durch Strenge, Reduktion und Tiefe gekennzeichnet ist. Fallende Tulpen ist ein exemplarisches Werk dafür: eine reduzierte Komposition, die das Alltägliche ins Zeitlose hebt.
(Christoph Fuchs, 2025)
Anmerkungen
1
Zitiert nach wikipedia (aufgerufen 5.6.2025)
2
Manfred Paul, Berlin Nordost 1972–1990: Am Rande der stehenden Zeit, Berlin 2012, o. S.