"Mädesüss"
Gelatinesilberabzug auf Baryt, handkoloriert mit Eiweißlasur
vorderseitig am Unterkarton signiert, datiert und nummeriert
Der Fotograf Martin Waldbauer beschäftigt sich mit langsam in Vergessenheit geratender analoger Aufnahmetechnik und Ausarbeitungsmethoden. Diese Pflanzenstudie setzt er bewusst vor weißen Hintergrund und nutz natürliches Licht und eine 8x10-Inch-Großformatkamera. Der Abzug wurde als Kontaktkopie hergestellt, dabei wird das Negativ direkt auf das Fotopapier gelegt und belichtet. Die Größe des Abzugs entspricht somit der Größe des Negativs und somit dem ursprünglichen Abbild in der Kamera. Diese sehr direkte Art der Herstellung von Fotoabzügen hat eine lange Tradition und geht zurück bis zu den den ersten Fotografien, wie zum Beispiel von William Henry Fox Talbot, The Leaf of a Plant, aus dem Jahr 1844 aus dem berühmten Buch The Pencil of Nature, 1844-1846, Platte VII.
Um der Pflanze einen besonderen Charakter zu verleihen überzieht Waldbauer die Ausbelichtung noch mit einer Eiweißlasur. Das händische Kolorieren mit Eiweißlasur erfordert großes Geschick, ist sehr zeitaufwendig und verzeiht keine Fehler. Die Gelatine des Fotopapiers ist in der Lage, die gelösten Farbstoffanteile der Eiweißlasur vollständig aufzunehmen. Dadurch "verschmilzt" die Farbe mit der Gelatine-Beschichtung des Fotopapiers so, dass der Farbauftrag nach der Trocknung kaum mehr auszumachen ist.1
Als Pflanze wählt der in der Nähe von Passau in Bayern lebende Fotograf ein Echtes Mädesüß (Filipendula ulmaria). Das Rosengewächs ist ein typischer Vertreter in nährstoffreichen Feucht- und Nasswiesen in weiten Teilen Europas. Bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. war Mädesüß Bestandteil von Bieren in England und Schottland. In Schottland wurde die Pflanze zu dieser Zeit auch in Gräber beigegeben. Später, in der jüngeren Eisenzeit, wurde sie unter anderem als Färbemittel für Stoffe benutzt. Imker rieben ihre neuen Bienenstöcke mit dem nach Honig duftenden Kraut aus, damit die Bienen sie annahmen. Mädesüß wird heute noch oft dem Met zugesetzt, um einen angenehmeren Geschmack zu bekommen. Im frühneuzeitlichen England kochte man die Blüten in Wein, um ihn als Stimmungsaufheller zu trinken. Auch der Name verweißt auf den süßlichen Geschmack. Mede ist ein altertümlicher Begriff für Grasland, auf dem das Mädesüß auch tatsächlich wächst, wenn der Boden ausreichend feucht ist. Für diese Herkunft spricht auch der englische Name meadow sweet. Auf jeden Fall ist der Name nicht von einem "Süßen Mädel" herzuleiten.2
(Christoph Fuchs)
1
https://de.wikipedia.org/wiki/Eiweißlasur (15.11.2023)
2
vergleiche https://de.wikipedia.org/wiki/Echtes_Mädesüß (15.11.2023)