Ohne Titel (4T M.D. SM 33 N.29 A)
C-Print
vorderseitig signiert und datiert
Der australische Fotograf Bill Henson gibt Träumen und Alpträumen, Elend und Reichtum, Dunkelheit und durchdringenden Lichtstrahlen Gestalt: eine Welt, die mit erotischer Spannung aufgeladen ist und vom Gespenst des Todes bewacht wird. Sie ist weitläufig und kompliziert, gibt sich nur langsam dem Detail hin.1
In der Serie "Untitled 1992/93" inszeniert Henson nackte und halbnackte Jugendliche in einer verfallenen Industrielandschaft – einem Schrottplatz, der von der Natur zurückerobert wurde. Es scheint, als würden hier satyr- und nymphenartige Wesen in einer düsteren Zwischenwelt hausen. Tatsächlich lebten einige der Jugendlichen über längere Zeit auf dem verlassenen Gelände – ein Umstand, der der Szenerie zusätzliche Authentizität und Dichte verleiht.
Hensons traumähnliche Bildräume kreisen um Themen wie Adoleszenz, Übergang, Verletzlichkeit und die fragile Balance zwischen Natur und Zivilisation. Der Schrottplatz wird zur Metapher eines liminalen Raums – eines Schwellenorts, in dem alte Ordnungen bereits zerfallen sind und neue noch nicht greifen. Ein Ort, den sich Jugendliche aneignen, um ihre eigene, geheime Welt zu schaffen.
Die Szenerien strahlen Intimität aus, wirken zugleich unheimlich – fast apokalyptisch. Zärtlichkeit inmitten von Verfall. Erotik im Schatten der Zerstörung. Der für Henson charakteristische Chiaroscuro-Effekt verstärkt diese Ambivalenz: Licht und Dunkelheit stehen sich nicht gegenüber, sondern wirken als gleichberechtigte Kräfte, die das Bildgeschehen gemeinsam formen.
(Christoph Fuchs)
Anmerkungen
1
Michael Heyward, “The Photography of Bill Henson” in: Australian Exhibitions Touring Agency Ltd (AETA, Hrsg.), Bill Henson, Ausst.Kat. La Biennale di Venezia, Melbourne 1995, S. 24, translated by deepL.