ohne Titel
Gelatinesilberabzug
rückseitig signiert, datiert und nummeriert
Sólheimajökull ist eine Gletscherzunge im Süden des von Feuer und Eis geprägten Inselstaats Island im Nordatlantik. Das weiße Eis des Gletschers wird vom Schwarz der Lavaasche kontrastiert, und so zeigt sich die Gegend als beinahe monochrome Landschaft. Die Künstlerin Gabriele Rothemann hat im Herbst 2019 dort fotografiert. In den schwarz-weißen Bildern, die formal an Aufnahmen von Polarexpeditionen aus dem 19. Jahrhundert erinnern, setzt die Künstlerin schwimmendes Treibeis in den Bildmittelpunkt. Es sind Fragmente, die sich aufgrund der Klimaerwärmung aus der Eismasse herausgelöst haben und ihrer Auflösung harren. Denn Islands Gletscher sind besonders stark vom Klimawandel betroffen, das Abschmelzen hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren beschleunigt. 2019 wurde der erste isländische Gletscher offiziell für tot erklärt. Die erschreckende Prognose lautet, dass alle Gletscher des Landes in 200 Jahren abgeschmolzen sein werden. Mit Miniaturen über das Verschwindens widmet Gabriele Rothemann den vom Aussterben bedrohten Gletschern eine feinsinnige Arbeit. Ihre Aufnahmen der traurig dahindümpelnden Eisschollen belichtet die Künstlerin auf Platten aus Elfenbein, wie man sie aus der Miniaturmalerei kennt. Gabriele Rothemann verwendet für diese Arbeit Elfenbein von Mammuts, einer vor Jahrtausenden ausgestorbene Spezies. Im Zuge des Schmelzens der Permafrostböden in der Tundra traten aus dem Eis im Ganzen konservierte Mammuttiere zu Tage. Durch Zufall gelang es der Künstlerin, das äußerst rare und älteste plastische Material der Kunst- und Kulturgeschichte von einem deutschen Miniaturmaler zu beziehen. Die kleinen Platten behandelt Gabriele Rothemann mit Fotoemulsion, um in Folge die Fotografien darauf zu belichten. Die so entstandenen Preziosen werden in einer von unten beleuchteten Vitrine präsentiert, sodass die Luzidität des Materials zur Geltung kommt. Gabriele Rothemann schafft mit dieser Arbeit eine Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart und impliziert eine mögliche Zukunft – eine Zukunft, in der die Gletscher genauso ausgestorben sein werden wie die Mammuts, die einst die Erde bevölkerten.
(Verena Kaspar-Eisert)