Ohne Titel
Kohle auf Papier
Georg Thumbachs erster Weg zu jeder neuen Arbeit führt ihn zunächst „ins Holz“, wie man in Bayern für den Wald auch sagt. Das muss man bei Thumbach wörtlich und im übertragenen Sinn nehmen. Am Anfang steht die Freiluftzeichnung. Mit großen Papierrollen marschiert er in die Waldeinsamkeit monokultureller Fichtenschonungen. Nadelbäume ohne Reiz, scheinbar steril und leblos. Dort, wohin sich kein Spaziergänger verirrt, betritt Thumbach sein Atelier: Im Unterholz zeichnet er in schneller Folge Ausschnitte dieser Dickichte, Licht und Schatten in flirrendem Wechsel, Astgewirr, Bruchholz, gestürzte Stämme, verrottende Stümpfe, dürre Äste, Nadelteppiche.
Auf Papier gebanntes Chaos, vom Menschen gepflanzt, von der Natur durcheinandergebracht, das so gar nichts mit dem seit der Romantik gepflegten Bild des Waldes zu tun hat. Kohle auf Papier, eine strenge Kühle trotz des pflanzlichen Wirrwarrs. Und doch weiß man sofort, wie es sich anfühlen muss, selbst dort zu sein. Das Dickicht hat eher etwas Magisches denn etwas Mystisches: So kann der deutsche Wald nämlich auch aussehen. Fern der röhrenden Hirsche in Eichenwäldern.
Obwohl nichts an ihnen fotorealistisch oder rein gestisch ist, sind die Bilder bezwingend stimmig. Abstrakt und doch konkret. In ihnen scheint die Zeit aufgehoben zu sein oder zumindest ein anderes Zeitmaß zu herrschen. Dauer hat hier ein größeres Gewicht, das Werden und Vergehen der pflanzlichen Materie stellt sich herausfordernd der Eile des Betrachters entgegen.
(Hannes Hintermeier, FAZ, 6.6.2017)