"Veronica Franco"
Sofortbild (Polaroid)
rückseitig signiert, betitelt und datiert
Rosalba Carriera (1675-1757)
Erste Kurtisane Italiens Tochter der Kurtisane Paola Fracassa, von dieser im Singen, Musizieren, Dichten ausgebildet, in die Liebeskünste eingeweiht, früh verkuppelt und – vorübergehend – verheiratet mit dem Arzt Paolo Panizza: Mit Zwanzig ist Veronica Franco bereits im amtlichen Katalog der „höchst ehrbaren“ Kurtisanen (als Nummer 204) angeführt – geliebt und gemalt von Tintoretto und Paolo Veronese, besucht und beschrieben von Michel de Montaigne, geschätzt und gefördert vom Literaturkritiker Domenico Venier. Auf der Empfangsliste der Frau, die sich entschlossen hat, „aus meinen Bedürfnissen eine Tugend zu machen“, stehen Herzog von Mantua und der Kardinal Luigi d’Este. Im venezianischen Protokoll des Staatsbesuches von König Heinrich III. von Frankreich (1574) steht Veronica Franco – für den gemütlichen Teil; damit Aufstieg zur „Ersten Kurtisane Italiens“. 1575 erscheint ihr Gedichtsband „Terze Rime“. 1577 initiiert und finanziert sie, die Mutter von sechs unehelichen Kindern aus sechs Verbindungen, das erste öffentliche Frauenhaus („Casa del Soccorso“) für Prostituiertenaussteigerinnen und misshandelte Ehefrauen, kritisiert frauenfeindliche Sozialzustände, unterstützt die Streitschrift „Inferno monacale“ (Unwesen der Nonnenhölle) der Venezianerin Arcangela Tarabotti. 1580 der Zauberei, Schwarzen Magie und Gottes- lästerung bezichtigt, zitiert man sie zur Inquisition, der sie dank ihrer Redegewandtheit entkommt. Verausgabt durch ihr soziales Engagement, beraubt
und betrogen von ihrem Hauspersonal, überfordert vom Unterhalt ihrer eigenen und der Kinder ihres verstorbenen Bruders Hieronimo, erkrankt vermutlich an Typhus und/oder Syphilis, stirbt sie im Armenviertel nahe der Kirche von San Samuele. Das Happy end von
Jahrhunderte auf sich warten – inszeniert von Hollywood als „Dangerous Beauty“ (1997).
Donne Illustri
Caffè Florian am Markusplatz in Venedig: Im „Saal der berühmten Männer“ (Sala degli Uomini Illustri) hängen zehn Ölgemälde von Giulio Carlini (1826–1887). Dessen postum gemalte Porträts der berühmter Venezianer – von Marco Polo über Tizian bis Goldoni – konfrontiert Irene Andessner mit zehn Venezianerinnen, darunter der Stadt berühmteste Komponistin (Barbara Strozzi), Malerin (Rosalba Carriera) und teuerste Kurtisane (Veronica Franco), sowie die erste Doktorin (Elena Lucrezia Cornaro Piscopia) und die erste Frauenrechtlerin der Welt (Moderata Fonte). Mit dieser Intervention verwandelt sich die Sala degli Uomini Illustri in die Sala delle Donne Illustri (Salon der berühmten Frauen). Eine vexierbildartige Irritation: Von Maske, Garderobe, Licht, Dekoration und Bildausschnitt abgesehen, weichen Andessners Darstellungen von den historischen Bildreferenzen der zehn Frauenfiguren ab: Sie hat nicht die Haltung und Blicke der Frauen, sondern der Männer aus den zu überhängenden Porträts nachvollzogen. Damit ist das Selbstverständnis, die Präpotenz, der männlichen Pendants gebrochen.
Ein weiterer Raum, Saletta Liberty, erhält einen Leuchtkasten mit einem Fonte/Andessner-Ganzkörper-Fotoporträt und einem „Fonte“-Porträt in Öl auf Leinwand, für das Andessner im Atelier von Marinella Biscaro Modell gesessen hat.
„7 Gentildonne“: Im Vorfeld der Ausstellung beruft Andessner im Caffè Florians Herrensalon ein Treffen von sieben Italienerinnen ein – als zeitgenössische Interpretation von Moderata Fontes Streitgespräch „Das Verdienst der Frauen“ (Il Merito delle Donne), per Video dokumentiert und im Ausstellungskatalog wiedergegeben.
In der Fotoproduktion für das Venedig-Projekt entstehen zusätzlich Ganzkörper-Porträts, die die historisierenden (in der Rauminstallation nur in ovalen Büsten-Ausschnitten sichtbaren) Frauendarstellungen mittels Styling vollends in unsere Gegenwart transponieren. In diesen Bildern ist auch zu sehen, dass die Künstlerin den Kameraauslöser in der Hand hält, also – im Gegensatz zu früheren Produktionen – selbst das Bild auslöst, und zwar genau in dem Moment, in dem sie sich der jeweiligen Rolle innerlich so gewachsen fühlt, dass sie sich sicher ist, die Persönlichkeit der jeweiligen Vorbild-Frau perfekt zum Ausdruck zu bringen. Diese Arbeitsweise entspricht den historischen Venezianerinnen, die ihre Profession ebenfalls selbstbestimmt und selbstständig, unabhängig von Männern, entwickelt und gelebt haben. Die Ganzkörper-Selbstporträts sind in lebensgroßem Maßstab als Leuchtkästen ausgeführt.
Das Projekt „Donne Illustri“ findet, kuratiert von Stefano Stipitivich, im Rahmen des Kunstprogrammes des Caffè Florian statt. In der vor 15 Jahren von der Caféhausbesitzerin und Kunstsammlerin Daniela Gaddo Vedaldi gestarteten Ausstellungsreihe waren bisher Künstler wie Mimmo Rotella (1990), Fabrizio Plessi (1993 und 2001) und Luca Buvoli (1997) vertreten.