Ansicht vorne
Inv. Nr.S-1159
KünstlerJulius Deutschbauergeb. 1961 in Klagenfurt, Österreich
Gerhard Springgeb. 1962 in Scheibbs, Österreich
Titel

"Die Stellvertreter"

Jahr2001
Technik

C-print

Bildgröße100 x 70 cm
Auflage1/3
Signatur

Signed, dated and numbered on verso.

Kommentar

Das Künstlerduo Deutschbauer/Spring hat sich in der Zeit der politischen Umwälzungen im Jahr 2000 zusammengefunden. Am liebsten bezeichnen sich die beiden als dienstbare Auftrags- und Hilfskünstler und als Plakatkünstler. Über hundert solcher Plakate gibt es bereits. "Plakate machen am meisten Spaß, Plakate sind Material für jeden", sagen sie und verteilen die A1-Bögen großzügig unter ihrer unerschütterlichen Fangemeinde. Mit ihren Plakaten weisen sie auch auf ihre Ausstellungen, Performances und Veranstaltungen in den Bereichen Theater und bildendender Kunst hin. Ihre Aktionen, bei denen sie nur am Rande mit Konzepten arbeiten, avancierten sukzessive vom „Grätzel-Tipp“ zum subtilen Medienereignis. Ihre „Happenings“ lassen sich im klassischen Topos urbaner Umgebungswelten kaum festmachen. Ihre Themen sind dennoch spezifisch politische, mehr noch ein Spiegel der Befindlichkeit der österreichischen Seele.
In der Arbeit Die Stellvertreter steht das Künstlerduo stellvertretend für die bei einem Terroranschlag zerstörten Hochhäuser des World-Trade-Center 2001 in New York. Neben der Fotografie wurde auch eine Videoarbeit produziert.
(Christoph Fuchs)

 

Nach dem 11. September – ein anderer Rundgang durch die art cologne im November 2001

[…] Die Videoarbeit zeigt zwei Männer ähnlichen Typs, die inmitten der Hochhauskulisse der Manhattan Skyline vor strahlend blauem Himmel auf und nieder hüpfen. In dieser digitalen Montage sind die zwei Männer nahezu doppelt so groß wie die Hochhäuser. Die gleiche Kleidung (schwarzer Anzug mit weißem Hemd) und die gleiche Körperhaltung erwecken zunächst den Eindruck, es seien Zwillinge und es wird klar, dass es sich bei dieser Arbeit um eine Antwort auf den Terroranschlag auf die Twin-Towers des World Trade Centers (WTC) am 11. September 2001 handelt.
Was haben zwei lustig in die Luft hüpfende Männer in einer Hochhauskulisse mit der Ernsthaftigkeit des real passierten Anschlags und dessen tiefgreifenden Folgen zu tun? In dieser Arbeit mit dem Titel “Die Stellvertreter” (die auch als Fotoarbeit produziert wurde) stellen die zwei Künstler sich selbst dar. Stellvertretend zu den nicht mehr vorhandenen Türmen wollen sie also dem Betrachter deutlich machen, dass nun diese zwei Hochhäuser fehlen. Oder wollen sie gar versuchen, mit ihren Luftsprüngen diese Lücke – zumindest imaginär – ersetzen? Können Menschen Architekturlücken füllen? Können sie trotz ihrer sehr sportiven Art die Höhe des nun fehlenden WTC erreichen? Wohl kaum. Aber das künstlerische Konzept von Deutschbauer & Spring sieht eine stellvertretende Nachahmung vor – in dieser Arbeit und in den vorangegangenen. In ihrem Kommentar zu der Foto- und Videoarbeit heißt es: “Mitgerissen von den allgemeinen Trauerbezeugungen haben auch wir uns bemüßigt gefühlt, unserer Trauer Ausdruck zu verleihen, indem wir das Bild ‘Die Stellvertreter´ schufen, um für den Verlust des WTC so schnell wie möglich Ersatz zu leisten.”Die Fotoarbeit schalteten sie mit einem Anzeigentext am 14.9.01 in “Die neue Kronenzeitung”, der mit dem Satz “Wir trauern um Amerika” begann und mit dem Aufruf “Lassen Sie uns jetzt alle zusammenstehen!” endete.
Angesichts der Tragweite und der Emotionen, die ein jeder angesichts der erschütternden Bilder im Fernsehen noch in sich trug, wirkt dieses Anliegen, in persona Ersatz zu schaffen, als Selbst überschätzung, wie blanker Hohn und wie ein schlecht gelungener, geschmackloser Comic, der die Tragödie bei weitem nicht zu erfassen vermag.
Aber kann ein Kunstwerk sich überhaupt mit dieser schrecklichen Tat auseinandersetzen? Hat die Kunst die Kraft, dieses Ereignis zu kommentieren, ästhetisch zu beantworten – und das innerhalb einer so kurzen Zeit zwischen Anschlag und Messepräsentation? Hat die Kunst überhaupt die Möglichkeiten, an diese Realität heranzukommen, sie einzuholen und ihr in der notwendigen Distanz zum Geschehen etwas entgegenzustellen, ohne dabei den Status Kunst zu verlieren? Sicherlich, denn immer schon gab es Historien-, Kriegs-, Gewalt- und Katastrophenbilder, die mit hoher Präzision und Qualität das dargestellte Ereignis überlieferten. Diese Aufgabe aber haben heute vorwiegend die Medien übernommen. Die Künstler hingegen müssen sich jedoch die Kritik gefallen lassen, “auf einen fahrenden Zug aufzuspringen”. Für manche ist es dennoch eine innere Notwendigkeit, sich künstlerisch mit diesem und vergleichbaren Themen auseinander zu setzen.
Adorno hat in seiner “Ästhetischen Theorie” gesagt: “Kunst ist die Antithese zur Gesellschaft”. Sie müsse immer das Andere in sich tragen, um der Gesellschaft nicht gleich zu werden. Ein wahrer Satz, der den Interpreten hilft, Gutes vom Schlechten zu trennen. Und, wie Gerhard Finck – der im Jahr 2000 im Museum Folkwang, Essen, eine Ausstellung zum Thema “Katastrophen und Desaster” kuratierte – in einem Interview mit der Osnabrücker Zeitung vom 26.10.01 sagte: “Die ersten Reaktionen (auf Katastrophen, U.L.) müssen nicht die ästhetisch bedeutsamsten sein.”
In der letzten Zeit haben sich viele Künstler mit sozialen Fragen befasst, sie haben, wie Christine Hill, eine “Volksboutique” eröffnet, oder wie Regina Möller eine Zeitschrift gegründet, die einer Modezeitung auf den ersten Blick ähnelt – oder sie haben andere Dienstleistungen angeboten. Doch seit dem 11. September haben wir es mit einem gesellschaftspolitischen Ereignis zu tun, das die Gefühle nahezu aller Menschen in dieser Welt tief getroffen und in diesem gemeinsamen Gefühl der Trauer und Wut geeint hat -auch wenn das Gemeinschaftsgefühl nur kurze Zeit anhielt. […]
(Ulrike Lehmann, in: Kunstforum international, Bd. 158, 2002)

S-1159, "Die Stellvertreter"
Julius Deutschbauer & Gerhard Spring, "Die Stellvertreter", 2001
S-1159, Ansicht vorne
© Julius Deutschbauer
S-1160, Julius Deutschbauer & Gerhard Spring, "Die Stellvertreter", 2001
Julius Deutschbauer & Gerhard Spring, "Die Stellvertreter", 2001
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© Julius Deutschbauer