Bild des Monats
Wolfgang Reichmann
Untersuchungen zur Evidenz von Wirklichkeit
Margit Zuckriegl
Jedes Fotogramm ist ein fotografisches Bild von Wirklichkeit. Ohne Optik und Kamera hergestellt, gibt es die direkte Evidenz eines Objekts, eines Ensembles wieder, jenseits von Vergrößerungs-, Verkleinerungs-, Vervielfältigungsstrategien oder jeglicher Art von Bildmanipulation — wiedergegeben wird das Ding an sich. Der abgebildete Gegenstand ist gleichermaßen Motiv wie Bildgenerierungsmodus, denn nur durch die Lichtundurchdringlichkeit der Materie bildet sich ein schattenhafter Beweis der physischen Eigenschaften des anvisierten Objekts ab.
Wolfgang Reichmann hat in seinem fotografischen Œuvre die Recherche zur Charakteristik der Gegenstände, zum Licht und zur Dunkelkammer zu seiner grundlegenden Werkidee gemacht. Er forscht nach den Spezifika von Materialien und Oberflächen, nach deren Möglichkeit, Licht zu reflektieren oder zu absorbieren, transluzide zu erscheinen oder sich einer Binnenzeichnung mittels Lichtquelle gänzlich zu verweigern. Und doch ist seine Version einer der ältesten Fototechniken nicht ein kalkulierter, berechen-barer Vorgang: Reichmann verleiht den banalen Dingen des Alltags durch ein sensibles Bildschaffen gleichsam eine Aura, einen Nimbus des Einzigartigen und Unwiederbringlichen, er attestiert sogar einem simplen Plastiksackerl eine lichte Evidenz als enigmatischer Ausschnitt aus unserer übersättigten Bilderwirklichkeit. Die Tragtasche, wie sie der FOTO-RAUM Spallart in Verwendung hatte, wird in dem vorliegenden Fotogramm zu einer Anmutung, zu einer Untersuchung über die dingliche Erscheinung des Objekts.
Reichmanns Fotogramme weisen eine weiche, piktoriale, fein abschattierte Farbigkeit auf, sie erreichen koloristische Valeurs, die dem prototypischen Fotogramm nicht eignen, welches sich ausschließlich auf Schwarz, Weiß und deren Abstufungen beschränkt. Die enorm langen Belichtungszeiten lassen diese magischen Farbveränderungen entstehen und verwandeln die zunächst als Ding-Beweis anvisierte fotogrammatische Technik in eine Art illusionistische Lichtmalerei.
(erschienen in Eikon #106, 2019)
Wolfgang Reichmann
"Vericon XI", 2011, Gelatinesilber Fotogramm auf Aluminium, 121 x 101 cm
© Wolfgang Reichmann