Ausstellung

Totentanz

Fotografien aus der Sammlung SpallArt

 


unbekannt, L’Inconnue de la Seine, 1920er

 

 

Nikolaus Kratzer

Die von der Sammlung SpallArt kuratierte Ausstellung Totentanz präsentiert eine Auswahl an Fotografien, die sich auf höchst unterschiedliche Weise mit dem Verhältnis von Tod und Schönheit auseinandersetzen. So verweisen zwei Aufnahmen der Unbekannten aus der Seine auf das legendenumwobene Schicksal einer jungen Pariserin, deren Leichnam zum Fin de Siècle aus der Seine geborgen wurde. Ihr Antlitz verleitete einen Angestellten des städtischen Leichenhauses dazu, eine Totenmaske anzufertigen. Dass die Geschichte des Mädchens KünstlerInnen fortan fesselte, lässt sich einerseits durch die ebenso abschreckende wie faszinierende Wirkung ungelöster Kriminalfälle begründen. Andererseits erinnert sein Schicksal an romantisierende Darstellungen von Liebesdramen, die mit dem Tod der ProtagonistInnen enden. Unweigerlich stellt man sich die Frage, ob ein gebrochenes Herz die Unbekannte dazu bewog, den Tod in Kauf zu nehmen. Die beiden in der Ausstellung präsentierten Fotografien knüpfen an den Mythos der Unbekannten an und trachten danach, den Abdruck durch präzise Lichtbehandlung lebendig erscheinen zu lassen. Die Tatsache, dass es sich bei der Totenmaske (der Erzählung zufolge) um eine Art Reliquie handelt, die im Moment der Prägung direkten Kontakt mit dem Gesicht hatte, verleiht den Aufnahmen eine zusätzliche Bedeutungsdimension. Denn Fotografien können ebenfalls als Abdruck – als per Licht übertragene Spur – definiert werden. Mit anderen Worten: so wie sich der Schöpfer der Maske tatsächlich vor Ort befunden haben musste, so bezeugt auch die Fotografie die Gegenwart der Autoren.

Das Sujet der jungen Frau, die in den Bann des verführerischen Todes gerät, wurde zur Zeit der Jahrhundertwende gerne von KünstlerInnen aufgegriffen. So etwa durch Egon Schiele in seinem 1916 entstandenen Monumentalgemälde Tod und Mädchen, wobei sich der Maler selbst als Tod inszenierte. Sechs Jahre später nahm Franz Fiedler den Topos für seine fotografische Serie Narre Tod mein Spielgesell auf, allerdings in umgekehrter Besetzung: Nicht der Tod verführt das Mädchen, sondern das Mädchen hält den Tod zum Narren. Überdies wurde die Serie 1921 im Dresdner Verlag der Schönheit publiziert. Dass eine Inszenierung dieser Art in den 1920er Jahren heftige Reaktionen nach sich zog, liegt auf der Hand; die kokettierende Art des Modells bricht die Autorität des Todes. In Anlehnung an den Titel der Ausstellung sei zudem auf Charles Baudelaires Die Blumen des Bösenverwiesen, in welchen der Autor im Gedicht Totentanz die ebenso makabre wie faszinierende Gestalt des Todes beschreibt.

Im Gegensatz zu Franz Fiedler ironisiert eine zeitgenössische Position den Tod – oder besser: den Mord – auf andere Weise. Benjamin Eichhorn schafft Fotografien, die potenzielle Mordwerkzeuge wie Äxte, Spitzhacken oder Küchenmesser zeigen. Dabei packt der Künstler die vermeintlichen Corpora Delicti in mit Blumenmustern überzogenen Stoff, den man mit gefälliger Interieur-Ausstattung assoziiert. So, wie der Tod bei Fiedler seiner verführerischen Kraft beraubt wird, verlieren auch Eichhorns Tatwaffen ihre einschüchternde Wirkung. Das Ornament verdeckt das einschüchternde Gesicht der Gegenstände. Gleichzeitig arrangiert der Künstler seine Objekte zu Ensembles, die als Vorlage für Fotografien dienen und ihrerseits eine Form von ornamentaler Struktur bilden.

Die vergängliche Schönheit der Blütenpracht – eines der klassischen Vanitas-Motive der Kunstgeschichte – wird durch zwei Blumenfotografien von André Kertész und Albert Renger-Patzsch adressiert. Im Falle Kertész’ Melancholischer Tulpe bedient sich der Künstler eines Unschärfeeffekts, um die Erscheinung der Blume zu verklären. Der hängende Kopf verweist auf den nach Amerika emigrierten Künstler, der eine Rückkehr nach Frankreich ersehnt. Allegorische Bedeutungszusammenhänge treten hingegen bei Renger-Patzsch in den Hintergrund. Kertész’ Verzerrungen wird im Ausstellungsraum die präzise Tiefenschärfe der Neuen Sachlichkeit gegenübergestellt. Der Korb der verblühenden Sonnenblume scheint gleichsam Stacheln zu entwickeln. In Bezug auf medienspezifische Qualitäten, die eine gute Fotografie charakterisieren, schrieb Renger-Patzsch 1927: „Das Geheimnis einer guten Fotografie, die künstlerische Qualitäten wie ein Werk der bildenden Kunst besitzen kann, beruht in ihrem Realismus. Um Eindrücke, die man vor der Natur, der Pflanze, dem Tier, vor dem Werk der Baumeister und Bildhauer, vor den Schöpfungen der Ingenieure und Techniker empfindet, wiederzugeben, besitzen wir in der Fotografie das zuverlässige Werkzeug.“1

Ebenso in der Ausstellung vertreten sind zwei Bildgedichte Heinz Cibulkas, die sich auf die Vergänglichkeit von Schönheit einerseits und auf den immerwährenden Kreislauf des Lebens andererseits beziehen. Dem verwesenden Vogel wird der nackte und mit einem Herz-Tattoo versehene Oberkörper eines jungen Mannes gegenübergestellt. Das Reiterstandbild des Helden Erzherzog Carl wird mit der Fotografie einer skulpturalen Figur kombiniert, die zu Boden stürzt. Ruhmreicher Sieg und fataler Sturz sind als Teil des Kreislaufs von Werden und Vergehen anzusehen. Dadurch evozieren Cibulkas Kombinationen von Momentaufnahmen Zeitlosigkeit. Es steht dabei den BetrachterInnen offen, in einen aktiven Rezeptionsprozess einzutreten und aus den Gedichten neue Bedeutungen herauszulesen.

 

1 Albert Renger-Patzsch, „Ziele“, in: Wolfgang Kemp (Hg.), Theorie der Fotografie II. 1912–1945, München 1999, S. 74.

veröffentlicht in Eikon #107, September 2019

 

 

 

S-1123, "Wien I, 709"
Heinz Cibulka, "Wien I, 709", 1984
S-1171, "Nr. 1529"
Heinz Cibulka, "Nr. 1529", 1975
S-1245, "Corpus delicti"
Benjamin Eichhorn, "Corpus delicti", 2012
S-1246, "In Deckung"
Benjamin Eichhorn, "In Deckung", 2010
S-2290, "Terra Nova – Campingsarg"
Max Blaeulich, "Terra Nova – Campingsarg", 2006

 

 

Ausstellungsansichten

 

Ausstellungsansicht
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8. bis 10. November 2019 

Eboran Galerie Wien
Stumpergasse 7
1060 Wien

www.eboran.at

Kontakt:

+43 6645596203 

Eröffnung:
8. November 2019, 19 Uhr 

Öffnungszeiten:
9. und 10. November, 14 bis 17 Uhr

 

 

Ausstellungsfolder

 

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