Ausstellung

Kölner Grün. Philipp Goldbach, Maik und Dirk Löbbert und Stephan Reusse

4. April bis 19. Juni 2012
Foto-Raum, Wien

Kuratiert von Carol Johnssen

 

 

 

 

 

 

Fotos: Stephan Reusse

 

 

 

Zur Ausstellung erschien eine Broschüre:

 

 

 

 

Stilllegung der Zeit

Alexander Pühringer

 

An der Vergangenheit fasziniert mich am meisten meine Kindheit; sie allein gibt mir, wenn ich sie betrachte, nicht das Bedauern über die entschwundene Zeit.
Roland Barthes

 

Am Anfang ist die Schrift, immer darin eingewoben die Sehnsucht nach der Ewigkeit des Daseins. Am Anfang ist das Bild, immer darin eingewoben der Stillstand der Zeit. Photo-Graphie meint beides. Die Sehnsucht nach der Ewigkeit im Stillstand der Zeit. Philipp Goldbach verknüpft in seinen „Tafel-Bildern“ diese beiden Elemente und spielt dabei noch mit der Sprache. Im Festhalten der Kreidetafeln, eingedenk der Auslöschung des Geschriebenen, feiert er die Gegenwart der Vergangenheit der Lehren des Geistes. Das dargestellte Inventar wird nicht simuliert, es ist tatsächlich so gewesen. Mit ihnen atmet die Vergangenheit in das Heute hinein. Wir sehen nicht das großformatige Foto, wir sehen das abgebildete Objekt. Das unterscheidet die Fotografie von der Malerei, derer wir immer auch ansichtig werden in der Struktur der Oberfläche, die vom Pinsel bearbeitet wurde. Das Bild der Tafel ist nicht die Tafel und auch nicht das Bild davon. Die Fotografie ist nicht die Metapher, aber die Tafel ist es schon. Sie steht für Größe der Lehre, des Wissens und der diese herausbildenden Kultur. Sie ist aber auch „das lebendige Bild von etwas Totem“, um mit Roland Barthes zu sprechen. Die von Goldbach aufgefundenen Schreibtafeln haben etwas von einer ehrwürdigen Erhabenheit, die an Kirchenaltäre erinnert, mit einer Predella, die für die Göttlichkeit stehen kann. Ähnlich verhält es sich mit den Schrift-Bildern von Goldbach, die sich auf die vergangene Zeit des Foto-Satzes beziehen. Auch wird etwas Vergangenes stilisiert in seiner Offenheit der Möglichkeiten. Das Bild von der jeweiligen Satztype steht wieder stellvertretend für das Geschriebene, das Wort, das in Sätzen zu Bildern geworden ist, in Büchern und Texten. Die bis in die frühen 1990er Jahre hinein gebräuchlichen Schriftmatrizen werden als Fotogramme auf lithografischen Film belichtet. In ihrer Konzeptualität erinnern sie an die dokumentarischen Vergewisserungsarbeiten aus den Werkserien eines Kriwet oder Peter Roehr. Der auch Lichtsatz genannte Fotosatz zeitigt in der seriellen Anordnung der verschiedenen Schrifttypen eine Aura der Vergänglichkeit, genau so, wie wir auch die Tafel-Bilder lesen können als eine verschwindende Kultur im digitalen Zeitalter, wo in naher Zukunft nur noch Tabletcomputer auf jeder Schulbank zum Einsatz kommen werden und das handgeschriebene Wort zunehmend verschwindet oder marginalisiert wird. In der Plexiglasskulptur eines überbelichteten Planfilmnegativs der Marke Fuji im Format von 4x5 Inch sind sie dann alle eingefüllt, die Bilder des Realen, das schon nicht mehr so ist wie im Zeitpunkt des Lichteinfalls auf das empfindliche Material. So wird die Skulptur zum lebenden Monument von etwas Vergangenem.
Das Flüchtige und seine Aura interessieren auch Stephan Reusse, der in mehreren Medien arbeitet und seinen Ausdruck einer streng konturierten künstlerischen Praxis findet. Aber immer ist es der Körper des Menschen, manchmal auch der Wölfe, den sein Augenmerk sucht und findet. In den Fotoarbeiten ist es immer eine Bühne, auf die er den Korpus hievt. Er choreografiert ihn im Sitzen und im Liegen. Die bloße Abbildungsvariante vermeidet er. Es sind keine Wirklichkeiten der Körperlichkeit, sondern die Spuren des Menschseins, die wir bei ihm erforscht sehen. Das Schlafen, den Traumzustand, die Jenseitigkeit des Bewusstseins bannt er auf seine präzisen Fototableaus, die die Gestalthaftigkeit nur im Zwischenland der Seinszustände kennen. Wie bei seinen bekannten Video- und Fotostudien von Wölfen, denen er mit der Wärmekamera über Stunden in der kanadischen Wildnis aufgelauert hat, sich ihnen angenähert hat durch eine Angleichung seines Ahnens von einer gänzlich anderen Befindlichkeit der Nacht und ihrer Gesetzmäßigkeiten. Da ist kein Halten, keine Sicherheit in den Sitzgelegenheiten, auf die er seine Menschen katapultiert. Ob Eisstuhl oder Bett, in seinen Körperverhaltungen ahnen wir nur die tatsächliche Gestalt, die Sicherheit wird uns nicht gegönnt. Der vertraute Anblick einer Menschengestalt sublimiert in seinen Ansichten von verlassenen Orten des Ruhens und des Schlafes zu schattenhaften Verortungen, die mehr Seele als Körper fühlen lassen in der Unentschiedenheit von Spuren und Ahnungen des Individuums. Die Stühle, die Betten, die Sofas – sie bilden eine Trabantenformation der Trägheit der Körperwärme, die noch ein paar Minuten vor Ort verweilt, bis sie wieder eingebunden wird in die Atmosphäre. Gespenstisch muten die Bilder an, wie Schraffuren von in die fotografierten Seinsorte eingeritztem Lebensgewicht, das nicht festgehalten werden will in seiner Bedeutungslosigkeit des Weltzusammenhangs. So findet Stephan Reusse auch 7 keine Erklärungen für das Sein, seine Ursprünge und das Woher und Wohin. Er betrachtet es nur mit großer Emphase und Empathie für die jenseitsgewandten Ansichten der Conditio Humana, im Schlaf, im Traum und im Hinübergleiten in ein Ahnen von etwas ganz anderem, das nicht zu fassen ist, nicht in einem Bild und nicht in einer Körperansicht. Die Bewegung hingegen behält er sich für seine präzisen Laserkonfigurationen vor, so, als ob er der computergesteuerten, an den Wänden dahinhuschenden Figurenfolge das Weltgewicht mehr anvertrauen möchte als der möglichen Andeutung im fotografischen Portfolio. Hier gesteht er seinen Ansichten der beseelten Welt durchaus auch Humor und Leichtigkeit zu, und das nicht nur bei der dahinhuschenden Maus, die von den Augen des betrachtenden Kindes noch am ehesten in ihrer spielerischen Natur erkannt wird als Sinnbild für einen nichtigen Existenzialismus. Wie sublim und verhalten er letztlich die Körperlichkeit aufzuheben weiß, in purer Schönheit der zu betrachtenden Natur, das verheißen uns die mit Urin entwickelten Blumenpoesien, die den leisen Melancholiker Stephan Reusse präsentieren wie er die Welt am meisten versteht, in ihrem Zusammenhang der Kräfte, die aufeinander reagieren wie Schwerkraft und andere Naturgesetze, als Urbilder der stillen Verneigung vor dem schöpferischen Kosmos.
Maik und Dirk Löbbert hingegen versöhnen ihre detailgenauen Lebensansichten auf ganz andere Art und Weise mit der gegebenen Wirklichkeit des Raumes. Sie präsentieren in ihren simulierten und tatsächlichen Eingriffen in reale Situationen eine spezielle Welterfahrung des homogenen Miteinanders von Banalem und Surrealem. Unser Alltag ist geprägt von einer selbstverständlichen Bewegung in vertrauter Umgebung und einer permanenten Versicherung des So-Seins in dieser. Das Künstlerbrüderpaar bringt nun eben diese Sicherheit in ihrer Praxis der Intervention gerne ins Wanken. In „Niagara“ beispielsweise haben sie 1999 anstelle eines Brunnens eine lapidare Dusche an einen belebten Platz verfrachtet. Einmal haben sie einem Wohnwagen ungewöhnlicherweise ein Hausdach verpasst. Ein anderes Mal hängten sie einen Kleiderschrank wie ein Küchenkästchen an die Wand. Die Löbberts stellen unser althergebrachtes Wohlgefallen an eingefahrenen Wahrnehmungssicherheiten auf ein wackeliges Podest und kippen dieses mit einer Portion Schadenfreude immer wieder ins Absurde hinein, in die Brechung der Sicherheit ob der Umgebung, in der Alltagsgegenstände uns als normal entgegen stehen. Mit beinahe kindlicher Naivität bauen sie Gemeinplätze im privaten oder urbanen Raum um in surreale Konstellationen von blanker Sensation. In „Vision“ sehen wir einen roten, 8 horizontal im Raum positionierten Balken, der unsere Sinneswahrnehmung in Richtung einer blanken Täuschung verführt, wenn wir die Unmöglichkeit der räumlichen Platzierung vor und hinter im Raum befindlichen weißen Säulen feststellen müssen. 1987 stellten sie auf einer städtischen Gehfläche einen Schirmständer ab, mit entsprechendem Teppich aus einem kleinbürgerlichen Mobiliar darunter. 1985 waren es Kleiderbügel, aufgehängt an einer Fläche, die eigentlich für Plakate vorgesehen war. 2005 stapelten sie auf einem Fußballplatz über einem weißen Tor ein weiteres darüber. Ready Mades- Verschiebung könnte man das nennen. Aber damit allein ist es nicht getan. Sie schöpfen inzwischen spielerisch aus einem schier unendlichen Fundus an Versatzstücken, mit denen sie die Banalitäten der Weltwahrnehmung stören, aufheben und neu positionieren. Dabei gibt es viele Möglichkeiten des altbekannten Spiels von Versuch und Irrtum. Vieles von Angedachtem bleibt Entwurf, nur die wirklich stringenten Szenarien werden tatsächlich ausgeführt. In der Universität Düsseldorf haben sie einstmals mit ihrem „Aufzug“ eine wunderbar vertrackte Situation geschaffen, in der nur derjenige Besucher des Hauses die Schlüssigkeit der Arbeit erfassen konnte, der in der obersten fünften Etage angekommen war und das Glück hatte, dass die beiden anderen Fahrstühle eben auch zur selben Zeit da waren. So ist das eben mit dem Glück und der Fügung und der Kunst, wenn man es denn wirklich hat, das Glück, dass die Zeit stillgelegt ist für einen kurzen Moment.