Publikation

Eikon #113 – März 2021

Seite 52–53

 

Werkporträt über zwei Arbeiten von Elfriede Mejchar aus dem Jahr 1991 von Alexandra Schantl.

Diese außergewöhnliche Fotografie eines Blattes gehört zu einer Werkgruppe, die Elfriede Mejchar seit Ende der 1960er bis in die 2000er-Jahre verfolgt und als Herbarium bezeichnet hat. Es handelt sich um eine Serie unzähliger Schwarzweißaufnahmen von Pflanzen, Blüten und insbesondere Blättern, die sie – einzeln oder in Gruppen – vor weißem Hintergrund arrangierte. Mejchars Herbarium besticht durch den Verzicht auf plastische Effekte zugunsten einer geradezu zeichnerischen Betonung des Schwarzweißkontrasts, wobei sie sich mitunter experimenteller, von der üblichen Negativ/Positiv-Verarbeitung abweichender Verfahren bediente. Beispielhaft hierfür ist der sogenannte Sabattier-Effekt (auch: Pseudo-Solarisation), den die Künstlerin bei dieser Aufnahme angewendet hat. Das bereits um 1860 von Armand Sabatier entdeckte und nach ihm benannte Verfahren,1 das auf der Umkehrung der Tonwerte beruht und dadurch die Konturen akzentuiert, wurde im 20. Jahrhundert von maßgeblichen Erneuerern der Fotografie wie Man Ray oder Otto Steinert wiederbelebt, um „einem allzu platten Naturalismus“ entgegenzuwirken und eine „neue optische Erlebniswelt von lebendigem, grafischem Reiz“ zu schaffen.2 Im Fall von Mejchars Aufnahme, zu der es übrigens auch ein positives Gegenstück gibt, wird zugleich die „Konstruktion“ und das Makelhafte des Blattes hervorgehoben. Dieser die Vergänglichkeit aller Schönheit entlarvende Blick ist ein zentraler Aspekt ihres facettenreichen Œuvres und entspricht ihrem Selbstverständnis als „mitleidlose“ Fotografin. Nicht zuletzt jedoch bewahrheitet sich an unserem Beispiel, was Otto Steinert die vierte „Vollendungsstufe fotografischen Schaffens“ nannte: „die absolute fotografische Gestaltung“, die etwa durch den Einsatz fotografischer Variationsverfahren, zu denen auch die (Pseudo-)Solarisation zählt, den Gegenstand derart entmaterialisiert bzw. abstrahiert, „daß er nur noch Formelement, Baustein der Komposition wird“.3
(Alexandra Schantl, erschienen im Eikon 113, 2021)

 

 

 

 

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Anmerkungen:

[1] Die unterschiedlichen Schreibweisen (Sabattier-Effekt und Armand Sabatier) sind historisch überliefert.

[2] Otto Steinert, „über die Gestaltungsmöglichkeiten der Fotografie“ (1955), in: Wolfgang Kemp, Theorie der Fotografie III. 1945–1980, München 1999, S. 87.

[3] Ebd., S. 89.